Jamal Musiala: „Als ich 16 war gab es einige Unsicherheiten in unserer Familie. Nicht wegen Fußball, sondern wegen dem Leben. Brexit, meine Mama war besorgt, dass es ihre Karriere beeinflussen könnte. Wir konnten keine klaren Antworten bekommen, es war stressig. Genau zu dieser Zeit hat der FC Bayern uns die Chance geboten zurück nach Hause zu kommen. Ich habe England geliebt und es ist niemals einfach, sein Leben so auf den Kopf zu stellen, aber es fühlte sich wie Schicksal an. Irgendwas an Bayern fühlte sich einfach so natürlich an. Ich könnte jetzt lügen und die Version erzählen, dass ich nach München gegangen bin, meine Lederhosen angezogen habe und ich der kleine, deutsche Junge bin, der nach Hause gekommen ist und alles ist perfekt. Aber die Wahrheit ist komplizierter.
Wenige Wochen bevor ich nach München gekommen bin habe ich mein Kiefer gebrochen. Das einzige was ich wochenlang essen konnte waren Suppe und Lasagne. Lasagne. Ich kann Lasagne nicht mehr riechen. Ich kann Lasagne nicht mehr hören ohne krank zu werden. Ich habe so viel Lasagne gegessen, dass ich traumatisiert bin. Ich habe so viel Gewicht verloren. Also bin ich das Kind aus der Chelsea Akademie, welches zum FC Bayern wechselt mit seinen 60 Kilo und ich kann nicht mal richtig sprechen, eher nuscheln. Um das klarzustellen, ich konnte deutsch sprechen (Hör auf zu lachen, Leroy!) Wir haben immer deutsch zu Hause gesprochen, aber halt nicht wie man es in der Schule lernt mit der, die, das. Also tauche ich da auf mit meinen 60 Kilo, meinem gebrochenen Deutsch, kann mein Kiefer nur zu 15% öffnen und versuche mich allen vorzustellen. Es war verrückt. Die haben sich vermutlich alle gefragt ob ich überhaupt Fußball spielen kann. Aber es hat mich auch motiviert. Ich wollte auf den Platz und jedem im Verein zeigen, dass es richtig war auf mich zu setzen.
Ich muss mich bei Miro Klose bedanken. Er war damals mein Trainer und er kannte keine Gnade. Das Verteidigen habe ich einfach nicht hinbekommen. In diesem Sinne war ich unreif. Ich wollte einfach nur angreifen und dribbeln und er hat mir jeden Tag eingetrichtert, dass ich verteidigen muss. Es ist lustig, weil man sich an Klose wegen seiner Tore erinnert, oder? Aber er würde mich umbringen, wenn ich nicht beim Verteidigen helfe. Ohne ihn hätte ich den Sprung in die erste Mannschaft nicht so schnell geschafft. Dieser Tag war unglaublich. Tatsächlich war der Abend zuvor noch unvergesslicher. Ich denke, jeder Fußballer erinnert sich genau daran, wo er war, als er „den Anruf“ erhielt.
Ich war in München joggen. Es war 2020, kurz vor der Pandemie. Ich war 17. Ich hatte meine Kopfhörer auf und mein Telefon klingelte. Ich dachte, es wäre meine Mutter. Ich nehme mitten im Lauf den Hörer ab und es ist Tiger Gerland. Er sagte: „Ich wollte dir nur mitteilen, dass du morgen mit der ersten Mannschaft trainieren wirst.“ Ich war so geschockt, dass ich einfach nur umdrehte und nach Hause rannte, um es meiner Mutter zu erzählen. Ich rannte zur Tür herein und sagte nur: „Mama!!! Mama!!! Du wirst es nicht glauben!!! Wir müssen jetzt zu Abend essen. Ich muss ins Bett!“ Ich versuchte an diesem Abend um 10 Uhr ins Bett zu gehen. Ja. Nein. Hat natürlich nicht geklappt. Ich war so nervös. Herzklopfen. An die Decke gestarrt. 11 Uhr. 12 Uhr. 1 Uhr. Ich weiß nicht, wann ich eingeschlafen bin. Es ist wie…. Wie kann ich heute Nacht überhaupt träumen? Was ist der Sinn? Am Morgen wird der Traum wahr.
Das Lustige ist, dass meine Mutter mich am nächsten Tag zum Training fahren musste. Ich meine, das haben wir jeden Tag gemacht. Aber jetzt gehe ich mit Müller und Neuer und Kimmich zum Training und meine Mama bringt mich mit ihrem kleinen VW Polo dahin. Ich versuche, in den Killer-Modus zu kommen und meine Mutter fragt: „Jamal, hast du genug gefrühstückt?“ Jamal, dreh die Lautstärke herunter. Jamal, vergiss nicht, mir eine SMS zu schreiben, wenn das Training vorbei ist. Jamal….“
„Mama, ich muss mich konzentrieren!“
Es war die reinste Komödie.
Sie wusste, dass ich nervös war, weil ich normalerweise die ganze Fahrt im Auto singe, aber ich war totenstill. Endlich erreichen wir die Trainingsanlage. Ich öffne die Autotür…
„Liebe dich! Viel Spaß! Schreib mir eine SMS!“
„In Ordnung, in Ordnung.“
„Jamal?“
„Ich liebe dich auch, Mama.“
Ich mache die Tür zu. Gehe zum Tor, wo die erste Mannschaft trainiert. Und ich denke buchstäblich: „Ich hoffe, der Sicherheitsdienst lässt mich rein“.
Sie haben mich reingelassen, Gott sei Dank. Aber ich hatte keine Ahnung, wohin ich gehen sollte. Die erste Mannschaft befand sich bereits in einer Besprechung wegen eines Champions-League-Spiels. Also sitze ich einfach in der Lobby und warte darauf, dass jemand kommt und mich abholt. Ich kam mir wie ein Praktikant vor. Dann kam Josh Zirkzee und hat mich herumgeführt.
Ich erinnere mich, dass ich in die Umkleidekabine gegangen bin und dort einfach nur gestanden habe.
Ich hatte solche Angst, versehentlich auf dem Platz von jemandem zu sitzen. Ich habe nur versucht, unsichtbar zu sein, bis mir jemand gesagt hat, wo ich sitzen soll. Ich stand nur da und sagte mir: „Ärgere niemanden. Ärgere einfach niemanden.“
Ich habe all diese Geschichten als Kind gehört, als ich Dokumentarfilme über die NBA geschaut habe. Über die Rookies. “Wir müssen dem Rookie zeigen, wo es langgeht.“
Ich dachte, sie würden so hart zu mir sein. Aber sie waren alle so nett und offen. (Okay, fast alle. Ich verzeihe Leroy den Bambi-Spitznamen niemals)
Die gesamte Kultur des FC Bayern – Mia san Mia – das sagen wir nicht nur. Es ist schwer zu erklären, bis man in der Umkleidekabine ist. Es herrscht eine familiäre Atmosphäre. Ich habe das erst geglaubt, nachdem ich es tatsächlich dort erlebt habe. Dieser erste Tag war so wichtig für mich. Nicht als Fußballer, sondern als Mensch, ganz ehrlich.
Als wir das Spielfeld betraten, erinnere ich mich, wie Thiago mit jemandem auf dem gesamten Spielfeld Two-Touch spielte. Keine Fehler. Perfekte Berührung. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich dachte nur: Oh mein Gott.
Wenn ich es heute sehen würde, würde ich immer noch denken: Oh mein Gott.
Es ergab nicht einmal einen Sinn. Es war Kunst. Thiago ist Kunst.
Ich erinnere mich daran, dass die erste Übung eine Kreisübung war und ich war mittendrin. Ich wollte nur sicherstellen, dass das Niveau nicht sinkt, wenn ich dort drin bin.
„Lass sie nicht merken, dass du 17 bist.“
Das war mein einziges Ziel.
Alles danach war irgendwie verschwommen. Aber ich erinnere mich, wie ich das Spielfeld verließ und nur die anderen Spieler ansah, und ich wusste, dass ich dazugehöre. Ich konnte es einfach in ihren Gesichtern sehen. Das Niveau ist nicht gesunken.
Nach dieser ersten Trainingseinheit zog ich mich an und musste meiner Mutter schreiben:
„OK, wir sind fertig. Kannst du mich abholen kommen?“
Ich habe ungefähr 30 Minuten auf dem Parkplatz auf sie gewartet. Alle gingen zu ihren Audis. „Bis später, Jamal.“ Schließlich fuhr meine Mutter im VW Polo vor. Ich stieg ins Auto und es war, als wäre es wieder der erste Schultag. Sie lächelte und sagte: „Sooooo, wie war es? Hattest du Spaß?“
Ich sagte: „Es war cool. Ja, es war cool.“
„Das ist großartig.“
Dann wurde geschwiegen. Einfach gechillt. Aus dem Autofenster gelächelt…
Was für eine Erinnerung.
Es war der Beginn eines neuen Kapitels unseres Lebens.
Danach ging vieles sehr schnell. Die Pandemie. Mein erstes Spiel im leeren Stadion gegen Freiburg. (Man hörte nur Radio Müller.) Mein erstes Tor gegen Schalke. Mein erstes Spiel in einem ausverkauften Stadion gegen Leipzig, als endlich wieder echter Fußball zurückkehrte. („Ohhh, hast du Angst, Bambi? Hat das Kind Angst?“ Das Kind hatte keine Angst.) Meine erste Weltmeisterschaft. Das erste Mal, dass ich bei der EM das Trikot mit der Nummer 10 in meinen Händen hielt. Der Mann mit dem Saxophon. Die Freude, die wir dem Land gebracht haben. Unglaubliche Erinnerungen.
Deshalb wollte ich das hier schreiben. Die Erinnerungen zu Papier bringen und sie in 5 oder 10 Jahren noch einmal zu lesen … Vielleicht sogar in 50.
Das bin ich mit 21.
Ich hoffe, dass ich mit 26 Jahren eine Weltmeisterschaft und ein paar Champions-League-Trophäen im Schrank habe. Ich hoffe, dass ich meine Familie stolz gemacht habe. Und ich hoffe wirklich, dass mein Vater endlich aufgehört hat, mich zu bitten, meine Teamkollegen zu fragen, ob sie ein kurzes Foto mit ihm machen könnten. (OK, er wird es immer noch tun, seien wir ehrlich. Und ich liebe es.)“